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1992 - 2024
32 Jahre entwicklungspolitische Arbeit

 

Eine Rose und 1000 Soldaten - Teil 4
von Julia Ozorio Gamecho/Hermann Schmitz
30.09.10     A+ | a-
Während der Herrschaft des Generals über das Land der guaraníes waren alle nur vorstellbaren Unmenschlichkeiten an der Tagesordnung. Eines Nachts entwischte ich aus meiner Zelle und erblickte Uniformierte, die ganze Säcke mit Kalk in das Schwimmbad des coronel entleerten. Vorsichtig schlich ich mich heran und konnte die Blasen erkennen, die an der Wasseroberfläche blubberten. Damals hatte ich keine Ahnung, was kochender Kalk anrichten kann. Ein anderes Mal sah ich dann, wie sie zwei an Händen und Füßen gefesselte Männer in das Kalkwasser warfen. Ein paar Tage später fragte ich den Wachmann der quinta, ob dieses Wasser zur Heilung einer Krankheit gut sei. Er antwortete, dass den Männern nichts geschehe, außer dass sie viel weißer dort wieder heraus kämen... „Sei vorsichtig mit dem, was du da siehst, sonst verpassen sie dir auch ein Bad!“

Zusammen mit Miers begegnete ich mehr als einmal dem Diktator.
Einmal sagte Stroessner, mir zugewandt, zum coronel: „Willst du noch lange mit der kleinen Schweigerin zusammen bleiben? Lass sie studieren, das kann sie.“ Sie redeten ohne Vorsicht in meiner Gegenwart. Miers war ja womöglich der Meinung, ich sei doch nicht so dumm, um nicht, würde ich eines Tages spanisch können, die Geschichte mit den Millionen Dollar zu erzählen, die Stroessner sich angeeignet hatte. Brauchte er einen Zeugen? Miers zeigte mir Geldscheine verschiedener Farben: “Das ist deutsches Geld  -  von den Nazis.“ „Warum geben wir es nicht den beiden Mädchen?“, fragte ich ihn. „Die beiden sind schon fünfzehn und ich werde sie bald den sargentos übergeben, sie gefallen mir nicht besonders, sind mir zu dunkel“, antwortete er mir. „Aber warum hältst du nicht den Mund?! Oder willst du eine Woche eingesperrt werden, ohne ein Körnchen Mais, ohne einen Tropfen Wasser? Hast du schon die Strafe von neulich vergessen? Dieses Mal wird die Strafe viel schlimmer.“

Mädchenhandel

Irgendwann fingen sie an, Mädchen zu fotografieren und die Bilder nach Europa zu schicken. Ich sah einmal ein Zimmer mit Wänden, die voll gepflastert waren mit Fotos nackter Mädchen. Miers hörte ich sagen: „Die mit den gut gebauten Körpern schicken wir nach Deutschland.“ Er meinte nicht die Fotos, sondern die Mädchen, und nach Meinung der coroneles hatte ich trotz meiner jungen Jahre alle dazu notwendigen Qualitäten. Auch könne ich Geheimnisse für mich behalten und sei imstande, Informationen zu beschaffen. „Dieser Floh riecht noch nicht einmal nach einer Frau, ist aber so was von neugierig, fragt dich sogar nach dem Namen deiner Großmutter. Die hat ein ganz besonderes Wesen, man kann sie noch so sehr strafen -  morgens seht sie lächelnd auf.“ (Ich war tatsächlich wie eine ungezähmte Gazelle, wie ein wildes Indiomädchen mit weißer Haut.)Sie erzählten von einem deutschen Arzt, der mit der Erlaubnis Stroessners nach jungen Mädchen mit einem besonderen Charakter suche, sie müssten vor allen Dingen Mut und Standhaftigkeit besitzen.

Was sollte das bedeuten? War ich gemeint? r schickte aber eine Blonde mit langen Haaren zu dem Deutschen. Der hatte schon von mir gehört und ließ Miers ausrichten , er warte auf mich. Dem Wolf aber missfiel der Gedanke, seine Beute zu teilen, bevor sie fünfzehn Jahre alt sein würde. „Diesen Deutschen werde ich nicht erlauben, meine Sachen zu benutzen.“  Ich war für sie keine Person, sondern nichts als ein Gegenstand.

Mit dem Wachbataillon unterwegs

Miers war Chef des Wachbatallions. Immer wenn der Präsident eine Stadt im Landesinneren besuchte, um irgendeine Schule oder eine Straße einzuweihen, musste Miers eine Woche vorher mit seinen Soldaten am Ort sein und ein großes Wachlager errichten. Als ich ihn nach Concepción begleiten musste, flog ich zum ersten Mal in einem Flugzeug. Es war ein Flugzeug mit zwei Motoren, das sehr tief flog. Wir waren sieben Passagiere und konnten die ranchos, die grünen Felder und roten Wege unter uns gut erkennen. Plötzlich sah ich, wie zwei Männer aus dem Flugzeug fielen.  Hatte der coronel nachgeholfen? Atemlos fragte ich, warum die beiden so das Flugzeug verließen. Er sagte, sie wollten nach unten zu ihren Häusern, ihre Fallschirme würden sich öffnen, bevor sie die Erde berührten. Ich musste aber die ganze Zeit an die beiden Männer denken, der coronel bemerkte es und schärfte mir ein: „Schau mir in die Augen! Du hast nichts gesehen, ist das klar?!“ Sein Blick reichte, um mir klar zu machen, dass ich niemals darüber reden dürfe.  Lange Zeit wollte ich glauben, dass die Männer vielleicht doch von selber aus dem Flugzeug gesprungen waren, um so auf die Erde zu gelangen. Noch heute zittern mir die Beine, wenn ich ein Flugzeug am Himmel sehe.

Zurück auf der quinta, sperrten sie mich wieder in mein Zimmer ein. Nach ein paar Tagen erschien der coronel und sagte: „Du hast jetzt deine Haare schön kurz und kannst diesen Soldatenhut hier tragen.“ Er brachte mir dazu eine neue Uniform und befahl mir: „Zieh´ dich um, wir fahren ins Landesinnere!“

Wir fuhren zu einer Stadt mit dem Namen Curuguatý, 300 km von Asunción entfernt. Der größte Teil der Strecke bestand aus Erdstraßen, aber ein Stück von dreißig km Asphalt vor Curuguatý sollte eingeweiht werden. So ein Aufgebot von Truppen, um dreißig Kilometer Straße zu eröffnen! Stroessner kam am nächsten Tag an, die armen campesinos mussten ihn schon vor der Bühne erwarten, ich sah ihre nackten Füße und hatte Mitleid mit ihnen. Auch hier waren wieder die Hunde mit den Sternen auf der Uniform unterwegs, darauf abgerichtet, in der jeweiligen Stadt Familien mit Töchtern von zwölf bis dreizehn Jahren ausfindig zu machen. Ihre perversen Absichten waren bekannt, man nannte sie die Mädchenjäger.

Mit Stroessner in ´Puerto Presidente Stroessner´

Dann ging es nach Puerto Stroessner an der Drei-Länder-Grenze, heute Ciudad del Este, zur Einweihung der „Brücke der Freundschaft“, die Paraguay mit Brasilien verbinden sollte. Ein neuer Befehl zu meiner Kleidung wurde ausgegeben: „Zieh´ die Soldatenuniform aus, du wirst dich heute wie ein normales Mädchen anziehen und in dem Speiseraum sitzen, in dem auch unser Präsident essen wird.“ Bald darauf sah ich ihn, ich habe noch heute seinen Lieblingsspruch im Ohr: „Hier wird Guaraní gesprochen und mit Guaraníes bezahlt!“ Er wollte nur die grünen Scheine sehen und hasste es, wenn man sich auf spanisch an ihn wendete.  Ich spürte die Wut in mir hoch steigen, als ich in die Nähe dieses verabscheuungswürdigen und verlogenen Wesens gebracht wurde: „Guten Tag, Señor Alfredo! Wissen Sie, wie viele Pausen mir entgangen sind wegen ihres verdammten Namens?!“Der König der Löwen erlaubte niemals, seinen Namen zu beleidigen, auch nicht, ihn falsch auszusprechen, das durften ja nicht einmal die Kinder. Er schaute mich mit seinem kalten Blick an und sagte zu den gorilas unter seinen Wachleuten: „Tötet sie nicht, sie verdient es, am Leben zu bleiben.“ Jetzt gab er mir sogar die Hand und meinte: „Mutig bist du, kleines Landmädchen, anscheinend sprichst du ja ganz gut und hören tust du auch wieder.“ Miers hatte mich gegenüber dem Diktator nämlich für gänzlich stumm und taub ausgegeben, wohl um mich immer mitnehmen zu können, wenn er sich mit seinem „Paten“ traf. Ich könne aber seit kurzem wieder etwas verstehen, hatte er heute den Diktator wissen lassen. Ich weiß nicht genau, ob Stroessner das glaubte. Jedenfalls war es die Idee von Miers. Eines Tages sollte ich bezeugen können, was ich gehört und gesehen hatte. Dachte Miers, ich würde ihn später entlasten? Wie denn?!

Jetzt schaffte er mich in eine Toilette des Hotels, dort verbrachte ich zwei Tage ohne Essen. Am dritten Tag erschienen zwei Militärs und meinten, jetzt ginge es in die Hauptstadt. Ich hielt vor lauter Erschöpfung nicht mehr lange aus, aber die Strafe sollte drei Tage und drei Nächte dauern, ohne Nahrung, ein Tag ohne zu trinken. Meine Strafe dafür, den Namen des Diktators beleidigt zu haben.

Manchmal fragen sie mich, heute, warum ich so oft die gleiche Musik höre. Wie soll ich es erklären? Es ist dieselbe Musik, die sie mir während der drei Tage damals ununterbrochen vorgespielt haben, ich muss sie immer wieder hören, besonders wenn ich den Wunsch habe zu weinen, oder wenn ich mich ohnmächtig fühle.

Zurück zu Hause

Während der Abwesenheit von Miers war ich fünfzehn geworden, einen Monat später erschien er plötzlich und sagte zu mir: „Du bist schon über das Alter hinaus, wo es mir noch Spaß mit dir macht, es ist Zeit, dass du in deine Familie zurück gehst. Aus zwei Gründen habe ich dich am Leben gelassen, erstens, weil du mich an meine verstorbene Tochter erinnert hast, die genau so neugierig war wie du, und zweitens, weil ich durch deine Träume etwas gelernt habe. Sprich niemals über das, was du gehört und gesehen hast! Wenn ich dich eines Tages brauche, werde ich dich finden.“

Zurück zu Hause, wollte ich sofort wieder fliehen, aber meine Mutter und meine Geschwister sperrten mich ins Bad, schlugen auf mich ein, weil sie um ihr Leben fürchteten, wenn ich raus käme. Wieder war ich eine Gefangene  -  bis irgendwann Miers plötzlich auftauchte, der wieder Lust auf mich hatte und mich fort schleppte. Mutter und Bruder gaben mir den Rat mit: „Tu um Himmels willen was er sagt, sonst müssen wir alle sterben!!“

Wieder zurück in Nueva Italia, aß ich fast nichts mehr, mir fehlte die vertraute Nahrung mit Hühnerfutter aus meiner Sklavenzeit. Davon konnte ich niemandem erzählen, auch nicht dem Arzt, zu dem man mich brachte, als ich nur noch wie ein kleines Vögelchen war und täglich mehrmals das Bewusstsein verlor. Schließlich floh ich aus dem Hause der Frau, die ich noch immer Mutter nannte.

Auf den Straßen von Asunción

Ich kam nach Asunción, streifte umher, saß lange auf den plazas. Auf einer lerne ich Doña Máxima  kennen, die mich mit zu ihrem primitiven Häuschen nahm, wo sie in einem Zimmerchen Milch und Gemüse verkaufte. Ich besuchte sie fast jeden Tag, und als ich ihr zu vertrauen begann, fragte ich:„Tía, kann ich an dich glauben?“„Ja, Mädchen, komm mal mit mir in das andere Zimmer.“ Es war ihr Schlafzimmer, ich sah sofort das Bild Stroessners an der Wand und zögerte. „Siehst du, wie hübsch unser Präsident ist?“Ich verstummte. Sollte ich ihr etwa meine Geschichte erzählen vom Aufpasser Stroessners, der mein Leben zerstörte? Ich irrte weiter durch die Stadt, drei Monate lang, bis in jeden Winkel.

Ich begegnete einem Coronel Eduardo Santa Cruz, mit dem ich mich anfreundete und dem ich einen Teil meiner Geschichte erzählte. Ich schrieb damals ständig Gedichte. Santa Cruz war ein einfacher Mann, der nur von seinem Gehalt lebte, nicht wie die anderen, die Drogen oder Waren schmuggelten. Ob er intime Absichten mit mir hatte, weiß ich nicht einmal, er hatte aber ganz sicher Angst vor dem allseits gefürchteten coronel. Jedenfalls fragte er mich nie, ob ich mit ihm ins Bett ginge. Ich aber hätte niemals einen Militär geheiratet, wenn er auch noch so gut war. Träfe ich zehn coroneles, ich steckte sie alle in einen Sack! Santa Cruz liebte meine Poesie, einmal fragte er mich: „Kannst du mir nicht jede Woche ein Gedicht aufschreiben für ein paar Bräute, die ich dort habe?“ Dann sollte ich sogar in den Regierungspalast gehen zu seinem Chef, dem meine Reime gefallen hätten. Er würde auch nicht meine Gefangenschaft und natürlich auch nicht den Namen Miers erwähnen. Er gab mir ein Papier mit, auf dem stand, an wen ich mich wenden musste. Ich gelangte tatsächlich in den Palast, übergab das Papier, und der Señor sagte zu mir: „Dann wollen wir mal sehen, Mädchen, dein Santa Cruz behauptet, du könntest Gedichte schreiben, er hat mir eins gezeigt, welches du für seine Braut gemacht hast. Es sieht so aus, dass sogar seine zukünftige Schwiegermutter anfängt, an Frühling und an Blumen zu denken ....“

Ich machte ihm zwei schöne Gedichte, die auch allen anderen gefielen, die sich gerade dort aufhielten. So bekam ich mein Geld für die Fahrt nach Buenos Aires zusammen. Ich musste aber erst sechzehn werden, das Alter war wichtiger als das Geld. Sieben Jahre fehlten mir zur Erwachsenen, denn zweiundzwanzig musste man zur damaligen Zeit sein, um über die Grenze zu kommen. Ich fand die Lösung: Mit dem Ausweis meiner Schwester müsste es gehen. Sie glich mir sehr, und mich hatte das Leben älter aussehen lassen.Mit dem Busunternehmen Godoy kam ich tatsächlich in Buenos Aires an................

Julia verbringt einige Jahre in Buenos Aires, ihre natürliche Klugheit und ihre Naivität helfen ihr, diese Zeit einigermaßen schadlos zu überstehen


“Als Hausmädchen   in Buenos Aires ausgebeutet“
“Versuch, Julia zu verkuppeln“
„Müllsammlerin in Villa Mataderos“
 „Ein paar Wochen mit dem ´chileno´“
 „Zurück nach Paraguay“
 „Wieder ´zu Hause´“
„Zurück zu Coronel Miers?“

Marinepräfekt Chamorro

Bis nach Itá Enramada lief ich einmal, zum Hafen am  Rio Paraguay,  wo die Fähre und die vielen Schmuggelboote nach Clorinda auf der argentinischen Seite über setzten. Zum ersten Mal sah ich vielfarbige Uniformen. Ein großer Marinesoldat in tadelloser Uniform kam auf mich zu:„Was machst du hier so allein? Sag´ mir nicht, dass du schmuggeln willst.“„Nein, Señor, ich bin zum ersten Mal hier.“

Er schenkte mir einige Bonbons und fragte mich, ob ich von Zuhause ausgerissen sei, das verneinte ich. Dann wollte er meinen Namen wissen, den sagte ich ihm und fragte ihn dann nach seinem: „Ich bin Felipe Chamorro.“ „Bist du von der Marine?“ „Ich bin der Prefecto Mayor der Schifffahrtsbehörde.“ Ob ich schon etwas gegessen habe, wollte er wissen. Das hatte ich nicht, ich war sehr früh von Zuhause weg gegangen. Was denn meine Eltern dächten, wenn ich zur Mittagszeit nicht im Haus sei. Was sollte ich ihm antworten, wie von meinem Leben erzählen, wo wir uns doch gar nicht kannten. „Meine Eltern? Die sind irgendwo.“ „Du weißt nicht, wo deine Eltern sind?! Sind sie tot?“ „So ähnlich“, antwortete ich zögernd. „Señor, wenn Sie mich weiter nach meiner Familie fragen, können wir nicht Freunde werden.“

„Gut, also frage ich nicht mehr, ich möchte aber trotzdem der Freund eines so neugierigen Mädchens sein. Neugierige Menschen gefallen mir. Komm doch morgen wieder. Wir können mittags zusammen essen.“ „Ich weiß nicht, ob ich mittags da sein kann, ich komme zu Fuß.“ Er bot mir Geld für den Bus an, aber ich wollte das nicht. „Nein, ist nicht nötig, ich laufe gern“, aber er bestand darauf, „gut  -  aber nur für die Busfahrt.“

Am nächsten Tag redeten wir weiter, einige Stunden lang  -  und ich fasste Vertrauen zu ihm, worüber ich mich selber wunderte. Wieder einen Tag später gab er mir eine Menge grüner Geldscheine: „Die werden dir helfen, deine Gedanken wieder ruhiger werden zu lassen, die Trennung von deinen Eltern hat deinen Blick auf das Leben sicher verdunkelt.“ Der Angestellte in der Wechselstube staunte: „Mädchen, wer hat dich denn mit so vielen Dollars los geschickt?!“  - da begriff ich erst, dass es sehr viel Geld sein musste. Ich brachte es ihm zurück, aber es war wieder vergebens. Als er mich fragte, was ich mit dem Geld machen wolle, sagte ich: „Ich will wieder zurück nach Argentinien.“ „Allein?“  „Ja, allein.“ Er wurde traurig: „Das ist nicht gut, so viel kann dir passieren. Ich möchte nicht, dass du gehst, du bist so verschieden von den anderen Frauen, die ich kannte. Du könntest meine Tochter sein, aber ich sehe dich als Frau.“ Den Satz, den er dann sagte, habe ich nicht vergessen, er ging so: „Deine Unschuld nährt meine Seele.“ Er wollte mich heiraten  -  wenn ich nur nicht gestohlen oder getötet habe. Sollte ich ihm erzählen, dass ich, ganz im Gegenteil, ein Opfer war und in meinem  kurzen Leben so viel Ungerechtigkeit kennen gelernt habe. Dass ich immer noch um mein Leben fürchten musste, wenn ich zu reden begänne?

Ich fuhr mit dem Bus nach Argentinien. An Señor Chamorro dachte ich ein ganzes Leben. Er war ein eleganter Mann gewesen, mit schönen blauen Augen. Vielleicht lebt er ja noch. Heute würde ich ihn gern wieder treffen, mit ihm reden, ihm alles über mein Leben erzählen. Ich würde ihn um nichts bitten. In meinem Bewusstsein hat er einen festen Platz, durch ihn bewahre ich  eine gute Erinnerung an mein Geburtsland. In das Gedenken an Chamorro fließt auch das Bild eines guten Vaters, der mir gewiss gefehlt hat.Ich hatte erlebt, wie er als Chef der Präfektur die einfachen Leute behandelte, seine Freundlichkeit hatte so gar nichts mit der Art der Militärs zu tun, die ich kannte.

Aber so gut er auch war, ich konnte ihn nicht heiraten, ich wollte nicht im Land bleiben. Eines Tages hatte er mir gesagt, er sei ein Verwandter des Diktators Stroessner, sein Geburtsort sei Encarnación, wie die des Königs der Löwen. Das gefiel mir überhaupt nicht, obwohl er doch so anders war. Sein Charakter war von Menschlichkeit und Güte. Gleichwohl hatte er ähnliche Züge wie bei Stroessners Familie. Kurz darauf sagte ich ihm, dass ich ihn nicht mehr sehen wolle. Natürlich wollte er den Grund wissen, ich aber entgegnete ihm, er solle mich nicht danach fragen, wenn er mich wirklich liebe. Er hat nie die Wahrheit erfahren über die Gründe meines Weggangs. Der erste Mann, der mich auf besondere Weise behandelte  -  vielleicht denke ich mehr aus Dankbarkeit an ihn zurück denn aus Liebe. Er wird immer wie eine schöne Nelke sein, die ich bei mir trage. Als ich wieder einmal an ihn denken musste, entstand dieses Gedicht:

Mann vom Land  -  mit deinem Duft nach Waldblumen
berührst du mein Herz.
Traum in meiner langen Nacht:  
Wie fang´ ich ein dein wildes Aroma?
Dein Bild trage ich in mir
und mit einer Feder aus Gold
schreibe ich deinen Namen.
Mann vom Land, Sohn des Windes
vor deinen Füßen beruhigt sich der See.  Wind spielt auf deinem Engelgesicht
Frühling streichelt deinen nackten Körper. Will  dich greifen, lebendiger Traum.

Ich lernte vor meiner Ausreise  -  oder soll ich sagen Flucht  -  noch weitere Männer kennen. Tag und Nacht dachte ich an Argentinien  -  „mein Argentinien“ nannte ich es, seit ich  dreizehn war  -  und Gedichte schrieb ich nicht mehr.

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